Man transportierte sein Geld in riesigen Waschkörben
Stellvertretender Geschichtsvereinsdirektor Werner Drobesch über die österreichische Hyperinflation der 1920er Jahre. 23,4 Millionen Kronen als durchschnittliches Jahreseinkommen eines Arbeitnehmers, umgerechnet 9,80 Euro für eine Tageszeitung.
Das Bargeld wurde von der österreichischen Politik wieder einmal zum Diskussionsthema gemacht. Inflation und Teuerung begleiten uns seit vielen Monaten spürbar. Besonders dramatisch und mitunter auch skurril war es aber zu Beginn der 1920er Jahre, als in Österreich eine Hyperinflation vorherrschte. „1924 hatten Arbeitnehmer ein durchschnittliches Jahreseinkommen von unglaublichen 23,4 Millionen Kronen, die etwa 11.500 Euro entsprechen. Man transportierte sein Geld in riesigen Waschkörben. Bauern zündeten ihre Zigaretten mit wertlosen Geldscheinen an“, sagt Werner Drobesch. Der Historiker von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und stellvertretende Direktor im Geschichtsverein für Kärnten beschreibt die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen dieser Zeit.
„1920 setzte ein moderates Wirtschaftswachstum ein. Es vermochte jedoch keine Entlastung der negativen Handelsbilanz herbeizuführen. Hinzu gesellte sich im monetären Bereich eine veritable Krise. 1921 waren nur mehr 36 Prozent der staatlichen Ausgaben durch Einnahmen gedeckt. Man setzte auf eine Ausweitung der Geldmenge und warf die Notenpresse an. Das beschleunigte die seit Ende des Ersten Weltkrieges herrschende Inflation“, fasst Drobesch zusammen. „1921 geriet die Inflation völlig außer Kontrolle. Am Jahresende erreichte sie bereits einen Wert von plus 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, so der Historiker weiter. Auch die Preisspirale drehte sich immer schneller nach oben, kein Produkt war davon ausgenommen. „Innerhalb nur eines Monats, von Juli auf August 1922, stiegen die Verbraucherpreise um 124 Prozent“, berichtet Drobesch. Als Beispiel führt er die damals in Klagenfurt erscheinende Zeitung „Freie Stimmen“ an. Sie kostete im November 1918 noch 3,20 Kronen (ca. 2 Euro), im August 1922 waren es 2.220 Kronen (ca. 3 Euro), 1923 zahlte man bereits 11.000 Kronen (5,50 Euro) und im August 1924 sogar 20.000 Kronen (9,80 Euro).
Noch ein grotesker Wert: Die Lebenshaltungskosten erreichten 1922 das 14.000-fache der Vorkriegszeit. Drobesch zählt auf: „Ein Kilogramm ‚prima Ochsenfleisch‘ kostete 21.000 Kronen (11,20 Euro), ein Liter Obstwein 5.200 Kronen (2,60 Euro), ein PUCH-Motorrad 10,5 Millionen Kronen (5.145 Euro). Eine Doppel-Mantel-Herrentaschenuhr konnte man um 130.000 Kronen (63,70 Euro), zahlbar in zwei Monatsraten, kaufen, ein Paar naturlederne ‚Haferl-Schuhe‘ um 210.000 Kronen (105 Euro). Für eine Autofahrt um den Wörthersee wurden 55.000 Kronen (27 Euro) verlangt.“
„Die Inflation bedeutete eine tiefgreifende Umverteilung zu Lasten der Sparer, der Geldvermögensbesitzer, der Rentenbezieher und Beamten. Ihre Begleiterscheinungen destabilisierten das gesellschaftliche Gefüge. Eine Vielzahl Desillusionierter verlor das Vertrauen in die Politik, nachdem ihr gesellschaftlicher Status und ihr Einkommen geschwunden waren. Was blieb, waren nur die alten Titel und Erinnerungen an eine bessere Zeit“, erklärt Drobesch. Der stellvertretende Geschichtsvereinsdirektor berichtet aber auch davon, dass sich die Menschen trotz der Krise vergnügten: „Man feierte auf dem Kirchtag der Klagenfurter Bauerngman ‚Lend‘ im Gasthaus Seebacher in St. Martin bei Klagenfurt, ging ins Prechtl-Kino oder besuchte Sportveranstaltungen, insbesondere Fußballspiele. Es war ein Tanz auf dem Vulkan.“
Natürlich gab es auch Gewinner der Hyperinflation. „Das war die schmale Schicht von sogenannten Schiebern und Spekulanten wie Camillo Castiglioni oder Sigmund Bosel. Sie machte die Inflation vermögend“, sagt Drobesch. „Schieber“ nannte man damals Leute, die einer dekadenten, hedonistischen Lebensweise huldigten. „Sie lebten in Saus und Braus, gierten nach medialer Aufmerksamkeit. Das Auto wurde zum Statussymbol dieser Klasse der Neureichen. Letztlich endete ihr finanzielles Abenteurertum im Zusammenbruch“, beschreibt der Historiker.
Die Politik sah der voranschreitenden Inflation aber nicht tatenlos zu, wie Drobesch ausführt. Am Höhepunkt der Hyperinflation wurde der Christlichsoziale Ignaz Seipel 1922 Bundeskanzler. Ihm gelang es, dass der Völkerbund der schwer angeschlagenen Republik mit einer Anleihe zu Hilfe kam. Der Preis war, dass dem Völkerbund weitreichende Kontrollrechte bezüglich des laufenden Budgets zugestanden werden mussten. Im November 1922 wurde die Budgetfinanzierung über die Notenpresse eingestellt, zugleich der Abbau von 100.000 Beamten beschlossen, was sich in einer steigenden Arbeitslosenrate niederschlug. Mit dem Beschluss zur Einführung der Schilling-Währung ging am 20. Dezember 1924 die Periode der Inflation formal zu Ende, am 1. März 1925 wurde er als Zahlungsmittel dann eingeführt. Ungeachtet der Budget- und Währungsstabilisierung blieb die ökonomische Lage labil.
Informationen: https://geschichtsverein.ktn.gv.at/
Redaktion: Markus Böhm, Pressereferent und Mitglied im Beirat des Geschichtsvereines